Granulate oder Roh-Kräuter?

Die traditionelle Verwendungsform chinesischer Heilkräuter in der TCM ist fast ausschließlich der Dekokt von “Yin Pian” (Roh-Kräutern). Die Geschichte der Einzelgranulate geht auf die Versuche in den 20er bis 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in Japan zurück, indem man Einzel-Dekokte zu Instanttees trocknete. Diese industriell hergestellte, moderne Form hat aber erst in den 60er Jahren Marktbedeutung gewonnen, als Multigranulat-Mischungen für die Kampomedizin häufiger eingesetzt wurde. Zu dieser Zeit kamen auch in Korea und Taiwan die industriell hergestellten Granulate auf den Markt. In der Volksrepublik China wurde die Form Einzelgranulate zum Aufbrühen im Arzneibuch der Ausgabe 1977 offiziell monografiert. 1993 wurde die Forschung, Entwicklung und industrielle Herstellung von Einzelgranulaten als eine wichtige Entwicklungsstrategie in das staatlichen “Spark-Programm” aufgenommen. 2001 wurden 6 Herstellungsbetriebe im Rahmen des Pilotprogramms zugelassen, Einzelgranulate für Rezeptmischung herzustellen. 2016 wurde die “Verordnung Einzelgranulate zur TCM-Rezeptur” erlassen.
Obwohl die Geschichte der Einzelgranulate in der Volksrepublik relativ kurz ist, hat sich der Markt dort aber rapide entwickelt. 2016 wurden in China 150.000 Tonnen Einzelgranulate für TCM-Rezeptmischungen verbraucht. Zum Vergleich wird die Marktgröße in ganz Europa auf 300 – 400 Tonnen geschätzt. Das entspricht 0,2 % des Verbrauchs in China.

In Europa stoßen Einzelgranulate auf Widerstand von traditionstreuen Anwendern. Welche Vor- und Nachteile hat das Einzelgranulat? Warum sind die traditionstreuen TCM-Anwender gegen diese Form?

Pro

  • Bei Granulaten wird der Aufwand des Dekoktierens gespart, was für viele Patienten einen entscheidenden Vorteil bedeutet.
  • Die Qualität des Granulataufgusses ist einheitlich durch die Industrie fachgerecht kontrolliert. Eine individuelle Abweichung beim Kochen bzw. fehlerhafte Zubereitung durch Patienten ist damit ausgeschlossen.
  • Das Granulat kann während auf Reisen mitgenommen und nach dem einfachen Aufbrühen eingenommen werden. So kann eine kontinuierliche Therapie unabhängig von der Reise gewährleistet werden.
  • Zumindest gibt es noch keine soliden klinischen Daten, die eine deutlich schlechtere Wirkung von einem Granulataufguss im Vergleich zu dem selben Dekokt aus Rohdrogen belegen. Bei einigen klinischen Untersuchungen, z. B. Ge Gen Tang (葛根汤Puerariae radix, Ephedrae herba, Cinnamomi ramulus, Paeoniae radix rubrae, Glycyrrhizae radix, Zingiberis rhizoma recens, Ziziphi semen) gegen HWS und Xiao Bai Fang (消白方Astragali radix, Atractylodis macrocephalae rhizoma, Saposhinikoviae radix, Polygoni multiflori radix, Ligustri lucidi fructus usw.) gegen Leukoderm ist die gleiche Wirkung von beiden Darreichungsformen erwiesen1.

Contra

  • Bei der Herstellung der einzelnen Granulate ist ein gemeinsames Kochen mit anderen Bestandteilen nicht möglich. Gerade durch dieses gemeinsame Kochen, bedingt durch den pH-Wert der wässrigen Dekokt-Lösung und die chemischen Reaktionen der Stoffe einzelner Bestandteile, entsteht ein chemisches Stoffgemisch, das für die therapeutischen Wirkungen entscheidend ist. Deswegen kann die chemische Zusammensetzung der aufgebrühten Granulatmischung nicht dieselbe wie des traditionellen Dekoktes sein. Ein typisches Beispiel dafür ist Da Chen Qi Tang (大承气汤Rhei rhizoma, Aurantii fructus, Magnoliae cortex und Mirabilitum), wobei der Gehalt an Magnolol, Honokiol und Aloe-Emodin im Dekokt deutlich höher als im Granulataufguss ist2.
  • Ein anderes Beispiel ist Si Ni Tang (四逆汤:Aconiti lateralis rhizoma, Zingiberis rhizoma, Glycyrrhizae radix praeparata) , wobei der Dekokt weniger giftig und angeblich wirksamer als sein Granulat-Pendant ist. Bei Sheng Mai San (生脉散Ginseng radix, Ophiopogonis radix und Schisandrae fructus) konnte man ebenfalls eine bessere Wirkung des klassischen Dekoktes als des Granulataufgusses feststellen.

1 D. Wang, Med. J. West China, August 2011, Vol., 23, No. 8; Meiyu Wang, Feng Li, Beijing Journal of TCM, June 2007, Vol., 26, No. 6.
2 Cao et al., 2013, World J. Integrated Trad. West. Med., Vol. 9 No. 2

Die riesigen Extraktionskessel werden mit Hilfe von Robotern befüllt und entleert. Die gesamte Extraktionsanlage ist computergesteuert.

Fazit

Einzelgranulate haben vor allem den Vorteil der schnellen und praktischen Anwendung. Viele Patienten verwenden deswegen bevorzugt diese Darreichungsform. Es ist nicht eindeutig klinisch belegt, ob das Aufbrühen der Einzelgranulatmischung eine schwächere Wirkung als der entsprechende Dekokt aus Roh-Kräutern hat. Allein die Tatsache, dass der Granulataufguss ein abweichendes Spektrum an analytischen Komponenten als der Dekokt hat, bedeutet nicht automatisch, dass der Dekokt dem Granulataufguss überlegen ist.
Für Importeure, Apotheken und TCM-Therapeuten in Deutschland hat die Differenzierung der beiden Darreichungsformen nicht nur therapeutische, sondern auch juristische und pharmazeutisch-technische Bedeutung. Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes am 3. März 2011 (BVerwG 3 C 8.10) sind Einzelgranulate Präsentationsarzneimittel gemäß § 2 AMG. Darunter versteht man solche Produkte, die durch ihre Bezeichnung oder Aufmachung (Werbung) beim durchschnittlich informierten Verbraucher den Eindruck erwecken, dass sie zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Auf die Wirksamkeit des Produktes kommt es für diese Einstufung nicht an. Dagegen sind TCM-Kräuter vor der Abgabe als Rezeptmischung keine Arzneimittel, auch wenn sie vor diesem Urteil in vielen Bundesländern als Arzneimittel betrachtet und überwacht wurden.

Aufgrund von bürokratischen Hürden ist es HerbaSinica aktuell nicht möglich unseren Kunden Granulate zu einem leistbaren Preis anzubieten. Wir arbeiten weiter daran Granulatae wieder in unser Sortiment aufzunehmen und anbieten zu können.