Wie grün sind Kräuter?

Aus der Sicht eines Vertreters der TCM als ganzheitliche Medizin ist die Situation der TCM in Deutschland und Europa frustrierend. Die Arzneimitteltherapie ist der effektivste Ansatz der TCM und macht in China den allergrößten Anteil der Behandlungen aus, weit mehr als alle anderen Behandlungsmethoden zusammen. Hier ist der Einsatz von Heilkräutern jedoch leider massiv eingeschränkt. Eine strenge Kontrolle der Qualität in Hinsicht auf Pestiziden, Schwermetallen, mikrobiologischer Belastund und Ähnlichem ist nötig und wünschenswert. Jedoch existieren auch viele weitere Hindernisse, die zum Beispiel durch fehlende Erfahrung oder forciertem Angleich an schulmedizischen Standards entstehen. Resultierend ist die TCM hierzulande fast nur durch Akupunktur bekannt und präsent. Die Angst vor und das Bedenken über den Einsatz chinesischer Heilkräuter sind leider durch jahrzehntelange Medienberichte über den vergangenen unkontrollierten Zustand in China zustande gekommen. Dies entspricht nicht den aktuellen Verhältnissen in China und schon gar nicht dem kontrollierten Markt in Deutschland.
Bei der Überlegung, ob etwas nachhaltig ist, stellt sich zuallererst die Frage womit es verglichen wird. Sicherlich ist eine TCM-Arzneimitteltherapie resourcenintensiver als keine TCM-Arzneimitteltherapie. Ein sinnvoller Vergleich mit Alternativen, die ähnliche Ergebnisse liefern, ist komplexer.

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Einheimischer Anbau

Eine häufige Diskussion betrifft einen Anbau in Deutschland oder Europa, um kürzere Transportwege zu ermöglichen. In der Vergangenheit sind bereits Anbauprojekte realisiert worden. Auf dem Markt gibt es auch schon Produkte aus einheimischem Anbau. Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) etwa bearbeitet seit 1999 einige TCM-Heilpflanzen am Institut für Pflanzenanbau und Pflanzenzüchtung:

  • Angelica dahurica (Fisch.ex Hoffm.) Benth.et Hook.f.
  • Artemisia scoparia Waldst. et Kit.
  • Astragalus mongholicus var. mongholicus
  • Astragalus mongholicus var. dahuricus (DC.) Podlech
  • Leonurus japonicus HOUTT
  • Paeonia lactiflora PALL.
  • Paeonia veitchii LYNCH
  • Prunella vulgaris L.
  • Rheum palmatum L.
  • Rheum tanguticum MAXIM. Ex ALF
  • Rheum officinale BAILL
  • Salvia miltiorrhiza Bunge
  • Saposhnikovia divaricata (TURCZ.) SCHISCHK.
  • Scutellaria baicalensis GEORGI
  • Sigesbeckia orientalis L.
  • Sigesbeckia pubescens MAKINO
  • Sigesbeckia glabrescens MAKINO
  • Xanthium sibiricum PATR. (Canger)

Hierbei handelt es sich um Versuchsanbau-Projekte, die erfolgreich die gewünschten Spezies mit ausreichenden Gehaltsstoffen getragen haben.

Eine Umsetzung auf breiter Ebene stellt sich allerdings schwieriger dar. Die größte Herausforderung dabei ist die fehlende Erfahrung vor allem bei der Weiterverarbeitung der Kräuter. Für viele TCM-Kräuter etwa gibt es erfahrungs- und traditionsgemäß strenge Regelungen zur Erntezeit und -methode. Die zu verwendenden Pflanzenteile, die traditionell per Hand sortiert werden, die übliche Schnittform, der Trocknungsvorgang und viele sehr spezifische Vorbehandlungsmethoden mit oder ohne weitere Hilfsstoffe bereiten Probleme. Insgesamt fehlt es an Know-How, sowohl für den Anbau als auch für den gesamten weiteren Bearbeitungsprozess.

Leider sind die Kosten des einheimischen Anbaus auf dem Markt bisher noch nicht wettbewerbsfähig. Dies kann sich schnell ändern, denn die importierten Produkte verteuern sich jährlich, schneller als die Kosten des einheimischen Anbaus. In naher Zukunft könnten damit die einheimischen Produkte konkurrenzfähig sein. Diesbezüglich haben wir einige Bauern in Bayern bereits angesprochen. Wir unterstützen und begrüßen den einheimischen Anbau von relevanten Sorten.

Auch wenn einheimische Bauernhöfe technische und wirtschaftliche Hürden überwinden und beginnen können den deutschen TCM-Heilkräuter-Markt im größeren Maßstab zu beliefern, kann nicht der Bedarf an allen gängigen TCM-Heilkräutern komplett gedeckt werden, da die Diversität der Klimabedingungen dies nicht zulässt.

In China nimmt der Anteil der TCM-Drogen aus kultivierten und gezüchteten Quellen immer mehr zu. Die Sammlung von wilden Beständen spielt eine untergeordnete und in ihrem Anteil abnehmende Rolle, da die Nachfrage die Regenerationsrate der Wildbestände übersteigt und damit kein nachhaltiges Angebot gesichert werden kann.

Die wahren Kosten des Imports

2021 wurden ca. 10 Millionen Tonnen Waren aller Art von China nach Deutschland transportiert, der Großteil davon auf dem Seeweg (Statistisches Bundesamt). Der CO2 Verbrauch für den Transport über den Seeweg von Shanghai nach Hamburg (ca. 12.000 km) von 1 kg Gütern beträgt etwa 180 g (Department for Business, Energy & Industrial Strategy, GOV.uk, 2020).

Im Vergleich dazu setzt die Produktion von 1 kg Rindfleisch umgerechnet ca. 155 kg CO2 frei, für zehn Eier beträgt der CO2 Ausstoß ca. 2,6 kg, für 1 kg Tofu ca. 800 g (Poore & Nemecek 2018).

Der Transport von TCM-Kräutern erzeugt nicht mehr und nicht weniger Umweltbelastung als der Transport anderer Produkte. Die gesamte Schifffahrtsindustrie sowie interkontinentale Handelswege über Schienen nachhaltiger und umweltschonender zu gestalten ist etwas, das dringend vorangetrieben werden sollte. Eine sofortige Lösung ist nur der sofortige Verzicht auf den internationalen Handel.

Qualitätskontrolle

Ein anderer Grund, warum ein Anbau im eigenen Land wünschenswert erscheint, ist die einfachere Kontrolle des Einsatzes von Pestiziden und andere schädliche Kontaminierung. Diese Problematik ist Teil der Arbeit für Importeure, Labore und Überwachungsbehörden. Das Arzneibuch schreibt genaue Grenzwerte für alle Belastungen vor. Alle zugelassenen Produkte für den Handel in Apotheken werden in staatlich zugelassenen Laboratorien auf über 200 Qualitätsmerkmale wie Pestizid-, Schwermetall- und mikrobielle Belastungen, aber auch Parameter wie Identität und Reinheit gemäß dem europäischen und chinesischen Arzneibuch untersucht und durch einen Sachverständigen gemäß § 65 Arzneimittelgesetz (AMG) zertifiziert. Nur Produkte mit den entsprechenden Qualitätsmerkmalen erhalten ein Prüfzertifikat gemäß § 6 und § 11 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und werden zum Verkauf freigegeben.

Artenschutz

Im chinesischen Arzneibuch 2020 sind insgesamt 2711 TCM-Drogen aufgenommen. In dieser neuesten Version sind die 8 Sorten, die von vom Aussterben bedrohte Tierarten stammen, entfernt worden. Diese artenschutzrelevanten Arten, wie zum Beispiel Tigerknochen, Nashornhörner oder Schuppentierschuppen durften auch in China schon längst nicht mehr gehandelt werden. Für die allergrößte Mehrheit werden in der Praxis bedrohte Tierarten nicht mehr verwendet und deren Verwendung wird strafrechtlich streng geahndet. Für den deutschen Markt spielt des Weiteren das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora: CITES) eine große Rolle. Die benötigten Aus- und Einfuhrerlaubnisse für bedrohte Tier- und Pflanzenarten kontrollieren streng die Quelle der Produkte und die tatsächlich importierte Menge. Von uns werden hiervon nur eine Handvoll (aktuell 3) Pflanzenarten importiert, die allesamt aus nachhaltigem Anbau stammen: Gastrodiae rhizoma (Gastrodienwurzelstock), Aucklandiae radix (Himalayaschartenwurzel), Panacis quinquefolii radix (Amerikanischer Ginseng). Es werden keine geschützten Pflanzenarten der Wildnis entnommen und von uns nach Deutschland importiert. Jährlich werden alle Ein- und Verkäufe von unter Artenschutz stehenden Sorten an die lokale Naturschutzbehörde in Deutschland gemeldet (Landratsamt Roth), welche die Lagerbestände überwacht und bei Diskrepanzen aufmerksam wird.

Schuppen von Schuppentieren (Pangolin) sind nicht mehr im Chinesischen Arzneibuch Version 2020 verzeichnet. Die Ahndung des illegalen Handels wird in internationaler Kooperation geahndet. (Foto: Kenneth Cameron)

Auf lange Sicht werden wohl die deutschen Verschreiber/innen TCM-Rezepturen ohne viele tierische Sorten schreiben müssen. TCM-Drogen tierischen Ursprungs sind praktisch völlig ausgeschlossen zum Import in die EU, auch nicht bedrohte und therapeutisch wichtige Sorten wie Zikadenkleid, Pheretima (Regenwürmer), Skorpione, Skolopendra und Egel, die in China nachhaltig gezüchtet werden. Grund hierfür sind strenge Auflagen aus Überlegungen der Tierseuchenprevention, die für die nachgefragte Mengen und Anzahl der Sorten nicht wirtschaftlich erfüllt werden können. Daher müssen Alternativen zu diesen Sorten intensiv erforscht werden, da ein auf rein pflanzliche Arten beschränktes Arsenal zu deutlich beeinträchtigten Therapieergebnissen führt.

Leider gelangen auch viele Produkte, die eine Apothekenqualität nach Arzneibuch nicht erreichen, oder keine ordnungsgemäße Aus- bzw. Einfuhrgenehmigung erhalten, nach Deutschland. Damit Therapeut/innen und Patient/innen immer ein sicheres und nachhaltiges Produkt erhalten, empfiehlt es sich daher, TCM-Kräuter nur von zuverlässigen Quellen zu beziehen.